Sauerteig: Country Bread
Fotos: Jörg Wilczek
Das Sauerteigfieber packte mich in der Zeit, als viele progressive Gastronomen begannen, hausgemachtes Sauerteigbrot zu servieren - das ist also noch gar nicht lange her. Das Brot, das man dort bekommt, hat nichts mit den oft schweren Roggensauerteigbroten zu tun, die man so kennt. Und um ganz ehrlich zu sein: Dafür interessiere ich mich auch heute noch nicht im Geringsten. Ich mag luftiges, helles Brot mit einer möglichst offenen Krume – also grossen Löchern – und vor allem mit einer dezenten, aber spürbaren Säure. Als ich selber mit Brotbacken begann, fragte ich einen befreundeten Koch nach einem Rezept und erfuhr, dass sich die meisten Sauerteigbäcker, die Brot nach meinem Geschmack backten, an der Rezeptur von Chad Robertson der Tartine Bakery in San Francisco orientierten. Und das tue ich seit da auch.
Handwerk mit geschmack
Alles startete also ziemlich harmlos mit einer Idee von einem Brot, das mir schmeckt. Schon bald merkte ich, dass beim Sauerteig etwas anders war als bei allen anderen Rezepten, die ich so ausprobiert habe. Bis auf Wein habe ich mich bis heute nirgendwo so reingesteigert wie in das Sauerteigthema. Sauerteig wurde für mich innert kurzer Zeit zu einer Passion und, wenn man meinem Mitmenschen glaubt, auch zur Obsession. Und den kalifornischen Bäcker Chad Robertson würde ich glatt zu meinem Guru machen, wenn es denn so was wie eine Sauerteig-Lebensgemeinschaft gäbe. Für mich ist es noch immer unglaublich, dass die Natur das Korn eigentlich mit allem ausgestattet hat, was es braucht, um daraus ein Brot zu backen. Wenn man das Handwerk beherrscht, kommt dabei etwas heraus, das jedes Brot, welches mit Hilfe von frischer oder getrockneter Hefe hergestellt wird, in den Schatten stellt. Sauerteig ist eine Rückbesinnung auf alte Methoden und damit total im Trend. Wie Naturwein zum Beispiel – bei beidem ist mir ganz egal, wie hipsterig oder angesagt das ist. Ich mag die Idee davon trotzdem, und wer das nicht mag, soll doch.
Kevin allein zu Haus
Die Grundzutaten für ein Sauerteigbrot sind denkbar einfach: Mehl, Wasser, Salz und natürlich der Starter – auf Deutsch ganz sperrig Anstellsauer genannt. Obwohl der eigentlich auch nur aus Mehl und Wasser besteht. Falls Du keinen solchen besitzt, solltest Du Dir einen zutun. Ich habe meinen ersten geschenkt bekommen, leider aber verkümmern lassen. Mein aktueller – ich habe ihn Kevin getauft – ist nicht nur oft allein zu Haus, sondern auch dort ganz allein entstanden. Aus nichts mehr als Mehl und Wasser (Anleitungen dazu gibt’s im Internet zuhauf). Wie Dominiks Heinz lebt auch mein Kevin grösstenteils im Kühlschrank. Und das auch nur, weil ich keine Zeit habe, um jeden Tag zu backen. Manchmal, wenn ich nach Hause komme von der Arbeit, schaue ich nach ihm. Und wenn ich sehe, dass er nicht mehr von Blasen durchsetzt ist und vielleicht sogar schon etwas Fuselalkohol auf der Oberfläche angesetzt hat, weiss ich, dass es höchste Zeit ist, ihn mal wieder zu füttern. Dann lasse ich ihn auf Zimmertemperatur kommen, nehme zu gleichen Teilen Wasser und Weizenmehl – meist 200 g Wasser, 100 g Weiss- und 100 g Vollkornmehl – sowie einen guten Esslöffel von Kevin. Abmessen sollte man beim Backen übrigens alles in Gramm, sogar Wasser, denn das ist am Genauesten. Nach 12 Stunden Fermentation bei Zimmertemperatur kann ich damit dann backen. Den Rest des Kevins aus dem Kühlschrank entsorge ich und bewahre stattdessen den übrigen, jetzt aktiven Rest des Sauerteigs auf. Und das ist natürlich noch immer Kevin – denn die Mikroorganismen, die ich schon lange in ihm züchte, bleiben ja dieselben. Das ist wichtig und war eine grosse Erkenntnis für mich: Die Mikroorganismen müssen immer wieder neu entstehen, um ihre Triebkraft voll entfalten zu können. Und da ich nicht jeden Tag backen kann, muss ich einen Teil von Kevin manchmal fortwerfen. Alles andere funktioniert nicht, auch wenn das natürlich traurig ist.
Mehl, Wasser und Zeit
Kevin mag’s warm. Wenn ich merke, dass es in der Wohnung zu kalt ist für ihn, dann stelle ich ihn in den Backofen mit dem Ofenlicht an. Das reicht aus, um wohlig warme 30 Grad herzustellen. Wenn Kevin aber aktiv und lebendig ist, reicht die Zimmertemperatur bei mir immer aus. Das muss man ausprobieren oder mal danach googeln oder die richtigen Freunde fragen. Denn Google und die richtigen Freunde wissen sehr viel über Sauerteig – wie über so vieles andere auch. Die wichtigste Zutat beim Sauerteigbacken ist weder Mehl noch Wasser, sondern Zeit. Viel davon! Richtig backen kann ich eigentlich nur an einem freien Wochenende. Zunächst braucht Kevin 12 Stunden, um aufzuwachen, dann brauche ich mindestens 5 Stunden, um die Brote vorzubereiten, dann folgen weitere 12 Stunden Gare und dann geht es nur noch 40 Minuten zum Backen. Und dann kommt eigentlich die schlimmste Zeit, die Stunden, in denen man warten sollte, bis das Brot komplett ausgekühlt ist. Aber man gewöhnt sich an alles. Was ich beim Sauerteigbrotbacken gelernt habe, ist, dass es kein ultimatives Rezept dafür gibt, sondern nur Tricks oder Empfehlungen. Am Ende muss jeder seinen eigenen Weg finden. Ganz ähnlich wie beim Wein- oder Biermachen halt. Ein Patentrezept gibt es nicht. Nie. Trotzdem habe ich meines für Euch im ultimativen Schoener-Saufen-Backdiagramm aufgeschrieben. Das Country Bread, inspiriert von Chad Robertson – dem Urvater dieses viel kopierten Rezepts. Gut möglich, dass andere Sauerteigbäcker einige Schritte ganz anders machen. Dann freue ich mich auf Eure Kommentare! Mehr Bilder von unserer Backsession findet Ihr auf Facebook. Und natürlich werden weitere Rezepte vom Schöner-Saufen-Team und von Freunden folgen, denn es gibt viel mehr als den Country Loaf. Hast zum Beispiel auch Du ein schönes Rezept mit Sauerteig, das Du mit Schöner Saufen teilen möchtest? Dann melde Dich doch bei uns: ichwill@schoenersaufen.com.