In der Herrschaft des Frosts
Fotos: Jörg Wilczek
Den 20. April könnte man als einen schwarzen Tag bezeichnen. Einerseits ist es Hitlers Geburtstag, andererseits – und ein wenig trivialer – wird der Tag in die Geschichte eingehen als Schicksalstag 2017 für viele Wein- und Obstbauern in Mitteleuropa. Vom 19. auf den 20. April und vom 20. auf den 21. April 2017 suchte uns das Schreckensgespenst Frühjahrsfrost heim. Schöner Saufen ist zu Besuch in der Bündner Herrschaft – der Region mit der wohl grössten Dichte an Spitzenwinzern in der Schweiz. Die berühmtesten Vertreter der Bündner Herrschaft sind Martha und Daniel Gantenbein. Auch wenn ihre Weine ein Vielfaches dessen kosten, was manche ihrer Nachbarn erhalten, sitzen alle heute im gleichen Boot. Es ist Frost angesagt – die zweite Nacht in Folge und der Himmel ist sternenklar, ein Vorbote für tiefe Temperaturen. Um 1 Uhr morgens haben Gantenbeins, wie unzählige Berufskollegen in ganz Mitteleuropa, damit begonnen, Frostschutzkerzen in ihren Rebbergen zu entzünden.
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Frost im Frühjahr – also nach dem ersten Austrieb der Pflanzen – ist darum so gefährlich, weil die noch jungen Triebe der Kälte nicht standhalten können. Sie erfrieren, und damit geht die Grundlage der Ernte im Herbst verloren. Im schlimmsten Fall zu 100 Prozent, manchmal ist es weniger. Gegenmassnahmen sind also dringend erforderlich und das Entzünden von Frostkerzen oder anderen Feuern ist weit verbreitet. Oft entscheiden nur wenige Grad und wenige Stunden über das Schicksal der Ernte. Eine nervenaufreibende Sache, die man keinem Winzer wünscht.
Warten auf Erlösung
Wir treffen Daniel Gantenbein gegen 3 Uhr morgens vor seinem Kellergebäude. „Seit Ostermontag hält uns der angesagte Frost auf Trab“, sagt er. Die Frostschutzkerzen brennen jetzt und ihm bleibt nichts anderes übrig als abzuwarten, bis im Laufe des Morgens die Temperaturen wieder steigen. „Die Kerzen sind noch lange keine Garantie“, weiss er. „Ich hoffe einfach, dass sie lange genug brennen.“ 8 Stunden sind es theoretisch – das müsste reichen.
So tragisch eine Frostnacht auch sein mag, das Schauspiel ist für Aussenstehende auf seine eigene Art auch schön. Die Feuer, die zwischen den Rebzeilen der Bündner Herrschaft geometrisch platziert abbrennen, und die grossen Rauchschwaden, die über die Rebberge ziehen, haben ihre ganz eigene Anmut, ja fast etwas Sakrales. Wer ganz ruhig ist, hört das Zischen und Prickeln der lodernden Feuer in ihren Metallkübeln.
Die Reblagen der Graubündner Weindörfer Fläsch, Maienfeld, Jenins und Malans liegen eigentlich alle am selben Hang, dennoch sind die Unterschiede der einzelnen Lagen in so einer Nacht besonders zu spüren. Manchmal entscheiden nur wenige Meter darüber, ob im Herbst etwas geerntet werden kann oder ob ein Totalausfall ins Haus steht. Diesmal hat es Malans und Jenins besonders hart getroffen, die nur wenige Kilometer entfernten Lagen in Fläsch – zu denen auch die neben Gantenbeins Keller gehört – scheinen weitaus weniger betroffen zu sein.
Philosophiefrage Frostschutz
Gleich anschliessend an die Gantenbein-Reben, von Fläsch Richtung Maienfeld, hat Chardonnay-Könner Christian Hermann Besitz. Er hat leider keine Frostschutzkerzen mehr gekriegt, „die sind in ganz Europa ausverkauft“. Darum brennt er mit seinen Mitarbeitern Holzfeuer ab, eine weit risikoreichere Methode als die Frostschutzkerzen. Der pragmatische Winzer Hansruedi Adank wollte sich nicht alleine auf Frostschutzkerzen verlassen. Inspiriert von Kollegen im Wallis setzt er in diesem Jahr auf die Hilfe grosser Gasturbinen, die für warme Luft sorgen. Diese hat er gemeinsam mit einem Winzerkollegen kurzerhand in Belgien bestellt und pünktlich zu Frostbeginn aufstellen können. „Es wäre schon toll, wenn die Resultate damit gut sind“, sagt Daniel Gantenbein. Und Hansruedi Adank wirkt nach der Frostnacht durchaus zufrieden. Gut so: Denn das Abbrennen von stark qualmenden Frostschutzkerzen gehört sicher nicht zu den umweltfreundlichen, geschweige denn nachhaltigen Massnahmen im Kampf gegen die Kälte...
In Malans besitzen Gantenbeins eine Lage mit Chardonnay-Reben, und diese Sorte ist besonders frostempfindlich. Hier haben sie auch in der ersten Frostnacht, vom 19. auf den 20. April, gefeuert. Offenbar mit Erfolg. Ganz im Gegensatz zur legendären Winzerfamilie Donatsch, die gleich nebenan Chardonnay-Reben besitzt. Sie verliessen sich in diesem Jahr alleine auf das Belassen von sogenannten Frostruten beim Rebschnitt – eine zusätzliche Rebrute an jedem Stock, die gerade nach oben ragt und so mit Glück weniger von der absinkenden Kälte abkriegt. Eine Methode, die praktisch alle Winzer anwenden. Das Weingut Donatsch rechnet nach ersten Schätzungen mit einem Ausfall von 80 bis 90 Prozent in diesem Jahr. Mit ein wenig Glück könnten einige Knospen noch austreiben, aber das wird sich erst in ein paar Wochen zeigen. Zu hoch gepokert? Nein, wie so vieles ist auch der Schutz vor Ereignissen wie Frost eine Philosophiefrage im Weinbau.
Teure Kerzen, teurer Wein
„Es ist mir schon klar, dass unsere Situation anders ist als die vieler Kollegen“, sagt Daniel Gantenbein und spricht damit darauf an, dass es auf dem Weingut Gantenbein bei allen Weinen nicht mehr als eine, nämlich nur die höchste Qualitätsstufe gibt. Kompromisse können sie sich nicht erlauben, in keinem Stadium der Produktion. Und natürlich ist der Einsatz von Frostschutzkerzen alles andere als kostengünstig. Ein Stück kostet rund 12 Franken und pro Hektar braucht es davon etwa 320. Die Kosten für die Beheizung eines Hektars betragen also rund 4000 Franken. Gantenbeins beheizen heute Nacht gut sechs Hektar Rebland. „Wer seine Weine günstig verkaufen muss, der wird sich das nicht leisten können.“ Zurzeit richten Gantenbeins ein Lager eigens für Frostkerzen ein. „Ich bestelle die als Erstes nächste Woche.“ Denn für die zwei Frostnächte diesen April hat der Gantenbein’sche Kerzenvorrat gerade so ausgereicht. Ein Augenschein am nächsten Morgen zeigt, dass das Heizen durchaus Erfolg gebracht hat, die Triebe in den Lagen sind intakt. Kommt aber in diesem Frühling eine dritte Frostnacht dazu, sind auch Gantenbeins machtlos, denn die Kerzen sind weg.
Keiner der befragten Bündner Winzer kann sich erinnern, dass es je zwei Frostnächte in Folge gab – aber jetzt ist es passiert, und das Jahr 2017 muss kein Einzelfall bleiben. „In Zukunft werde ich andere Methoden wie die Gasturbinen prüfen müssen oder aber stets zwei Sätze Kerzen an Lager haben“, sagt Daniel Gantenbein. Kostenpunkt dafür wären rund 50 000 Franken.
Während viele glauben, dass der Weinbau in gemässigten Gegenden wie der Bündner Herrschaft von der Klimaerwärmung profitiert, sind jedoch gerade hier die Wetterextreme grösser geworden. „Wenn Leute sagen, die Klimaveränderung sei Habakuk, und wenn Trump sagt, man müsse alles wieder abschaffen, was Obama im Bereich Umweltschutz eingefädelt hat, dann ist das einfach nur blauäugig. Ich muss kein Wissenschaftler sein, um festzustellen, dass die Wettersituationen heute viel extremer sind als noch in meiner Kindheit. Das betrifft lange nicht nur den Frost, sondern auch Niederschläge, Hagel oder extreme Hitze.“